Schutz vor SLAPP-Klagen

Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie (EU) 2024/1069 nimmt die Bundesregierung einen lange überfälligen Reformschritt in Angriff: den wirksamen Schutz vor sogenannten SLAPP-Klagen („Strategic Lawsuits Against Public Participation“). Diese strategischen Einschüchterungsklagen bedrohen die Pressefreiheit, den wissenschaftlichen Diskurs und das zivilgesellschaftliche Engagement gleichermaßen. Sie sollen kritische Stimmen zum Schweigen bringen, indem sie Betroffene durch kosten- und zeitintensive Verfahren unter Druck setzen.

Der deutsche Gesetzesentwurf greift zentrale Elemente der europäischen Vorgaben auf und schafft erstmals einen spezifischen Rechtsrahmen in der Zivilprozessordnung (§§ 615 ff. ZPO-E), um missbräuchliche Verfahren gezielt zu erkennen und abzuwehren. Gleichwohl zeigt sich bei näherer Analyse: Während einige Schutzmechanismen – etwa Kostensicherheit und erweiterte Kostenerstattung – praxistaugliche Entlastung versprechen, bleiben andere Kerninstrumente der EU-Richtlinie, insbesondere eine effektive Frühabweisung unbegründeter Klagen, bislang unberücksichtigt.

Der Beitrag beleuchtet die wesentlichen Inhalte des Entwurfs, würdigt seine Stärken und benennt die Schwachstellen aus anwaltlicher und grundrechtlicher Perspektive. Zudem zeigt er auf, welche strategischen Schritte Betroffene bereits jetzt nutzen können, um sich effektiv gegen SLAPP-Verfahren zu verteidigen.

Was sind SLAPPs?

SLAPPs zielen darauf, Personen wegen ihrer öffentlichen Beiträge zur Meinungsbildung in kostspielige, belastende Verfahren zu ziehen. Betroffen sind häufig Journalistinnen und Journalisten, zivilgesellschaftliche Organisationen, Wissenschaft, Aktivistinnen und Aktivisten sowie Hinweisgeber.

Der Entwurf auf einen Blick

Der Entwurf schafft einen spezialgesetzlichen Rahmen in der ZPO (§§ 615 ff. ZPO‑E) für missbräuchliche Verfahren gegen Personen aufgrund ihrer öffentlichen Beteiligung, ergänzt um einen besonderen Gerichtsstand bei missbräuchlichen Drittstaaten‑Verfahren (§ 23a ZPO‑E). Ziel ist eine zügige, effektive Verfahrensführung und ökonomische Entlastung Betroffener.

Positiv: Wichtige Schutzbausteine

– Klare Anknüpfung: § 615 ZPO‑E definiert, wann ein Verfahren „missbräuchlich“ ist und verweist für „öffentliche Beteiligung“ auf die EU‑Definition – das erleichtert eine einheitliche Anwendung. 

– Indikatoren-Katalog: Überhöhter Streitwert, Parallelverfahren, Einschüchterungstaktiken oder Prozessverschleppung dienen als konkrete Signale für Missbrauch. 

– Ökonomischer Schutz: Prozesskostensicherheit (§ 617 ZPO‑E), erweiterte Kostenerstattung über gesetzliche Gebühren hinaus und eine besondere Gerichtsgebühr (§ 618 ZPO‑E) schrecken missbräuchliche Kläger ab. 

– Internationaler Rechtsschutz: Der besondere Gerichtsstand (§ 23a ZPO‑E) eröffnet Betroffenen eine heimische Zuständigkeit für Ansprüche aus missbräuchlichen Drittstaaten‑Verfahren.

Kritik: Wo der Entwurf hinterherhinkt

– Herzstück fehlt: Eine verfahrensrechtliche **Frühabweisung** mit beschleunigter Prüfung und Beweislastanhebung (Early Dismissal) nach dem Vorbild der Richtlinie fehlt – ohne dieses Instrument bleibt Schutz oft zu spät wirksam. 

– Sanktionsdefizit: Es gibt keine ausdrücklichen materiell‑rechtlichen Sanktionen oder Schadensersatzansprüche bei festgestelltem Missbrauch; die besondere Gerichtsgebühr und Kostenerstattung reichen als Abschreckung nicht immer aus. 

– Drittstaatenurteile: Eine klare Versagungsnorm für Anerkennung/Vollstreckung missbräuchlicher Entscheidungen aus Drittstaaten (Anti‑„libel tourism“) ist nicht vorgesehen. 

– Transparenzlücke: Die Publikationspflicht erfasst erst Rechtsmittelinstanzen; erstinstanzliche Entscheidungen sollten aus Praxisgründen ebenfalls veröffentlicht werden.

Reichweite und Risiko

Der nationale Anwendungsbereich ist bewusst weit und verlangt – anders als die EU‑Mindestvorgaben – keinen grenzüberschreitenden Bezug. Das stärkt den Schutz im Binnenverhältnis, verlangt aber präzisere Leitplanken, um Missbrauch des Anti‑Missbrauchs‑Instruments zu vermeiden.

Praktische Folgen für Betroffene

– Bessere Chancen auf **Kostensicherheit** und erweiterte Kostenerstattung, wenn Gerichte Missbrauch feststellen. 

– Schnellere Verfahrensführung durch Priorisierung – jedoch ohne garantierte frühe Ausfilterung offensichtlich unbegründeter Klagen. 

– Weiterhin Schutzlücken bei importierten Einschüchterungsklagen aus Drittstaaten ohne klare Anerkennungsversagung.

Unsere Empfehlung

– Gesetzgeberisch nachschärfen: Einführung eines strukturierten Early‑Dismissal‑Verfahrens, ausdrückliche Sanktionen/Schadensersatz, klare Nichtanerkennung missbräuchlicher Drittstaatenurteile, Korrektur der Redaktionsfehler, Veröffentlichung auch erstinstanzlicher Entscheidungen. 

– In der Praxis nutzen: Frühzeitig Missbrauchsindikatoren darlegen, Kostensicherheit beantragen, erweiterte Kostenerstattung sichern, Publizität von Entscheidungen strategisch einsetzen.

Was unsere Kanzlei leistet

– Strategische Erstbewertung: Einordnung des Risikoprofils, Dokumentation von Missbrauchsindikatoren, Kommunikations‑ und Prozessstrategie. 

– Prozesstaktik: Anträge auf Priorisierung, Kostensicherheit, erweiterte Kostenerstattung; konsequente Angriffe auf überhöhte Streitwerte und Parallelverfahren. 

– Internationaler Schutz: Nutzung des besonderen Gerichtsstands bei Drittstaaten‑SLAPPs; Koordination zur Abwehr von Anerkennung/Vollstreckung ausländischer Entscheidungen. 

– Reputationsschutz: Rechtliche Abwehr verknüpft mit risikoarmen Öffentlichkeitsstrategien.

Fazit

Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung – aber ohne verlässliche **Frühabweisung**, klare Sanktionen und einen robusten Schutz gegen Drittstaaten‑SLAPPs bleibt das Regelwerk hinter seinem Potenzial zurück. Bis zur Nachschärfung sichert eine kluge Prozessstrategie bereits heute spürbare Vorteile.

Für eine vertrauliche Ersteinschätzung und ein maßgeschneidertes Schutzkonzept steht das Team kurzfristig zur Verfügung.


Synopse

Änderung der ZPO

    § 23a

    Besonderer Gerichtsstand für vermögensrechtliche Ansprüche infolge missbräuchlicher Verfahren gegen Personen aufgrund ihrer öffentlichen Beteiligung

    Für Klagen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche infolge eines außerhalb der Europäischen Union gegen den Kläger aufgrund seiner öffentlichen Beteiligung missbräuchlich geführten Rechtsstreits ist das Gericht am allgemeinen Gerichtsstand des Klägers zuständig. Satz 1 gilt nicht für Klagen gegen Beklagte mit Sitz in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union oder in einem Vertragsstaat des Übereinkommens vom 30. Oktober 2006 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. L 147 vom 10.6.2009, S. 5; L 115 vom 5.5.2011, S. 31; L 18 vom 21.1.2014, S. 70), das durch die Übereinkunft vom 3. März 2017 (ABl. L 57 vom 3.3.2017, S. 63) geändert worden ist).

    § 26

    Dinglicher Gerichtsstand für persönliche Klagen

    In dem dinglichen Gerichtsstand können persönliche Klagen, die gegen den Eigentümer oder Besitzer einer unbeweglichen Sache als solche solchen gerichtet werden, sowie Klagen wegen Beschädigung eines Grundstücks oder hinsichtlich der Entschädigung wegen Enteignung eines Grundstücks erhoben werden.

    Abschnitt 3

    Missbräuchliche Verfahren gegen Personen aufgrund ihrer öffentlichen Beteiligung

    § 615

    Anwendungsbereich

    • Wird ein Rechtsstreit aufgrund der öffentlichen Beteiligung des Beklagten missbräuchlich geführt, so sind ergänzend die Regelungen dieses Abschnitts anzuwenden.
    • Ein Rechtsstreit aufgrund der öffentlichen Beteiligung des Beklagten wird missbräuchlich geführt, wenn
      • der Hauptzweck des Rechtsstreits darin besteht, öffentliche Beteiligung zu verhindern, einzuschränken oder zu sanktionieren, und
      • Mit dem Rechtsstreit unbegründete Ansprüche verfolgt werden.

    Als öffentliche Beteiligung gilt jede Aussage oder Tätigkeit im Sinne des Artikels 4 Nummer 1 der Richtlinie (EU) 2024/1069.

    (3) Bei der Beurteilung der Voraussetzungen des Absatzes 2 Satz 1 hat das Gericht insbesondere zu berücksichtigen, ob

    1. der vom Kläger geltend gemachte Anspruch oder ein Teil davon überhöht oder unangemessen ist,
      1. Der Kläger einen auf eine in Nummer 1 nicht genannte Weise überhöhten Streitwert zugrunde legt,
      1. Der Kläger oder ein mit ihm verbundenes Unternehmen (§ 15 des Aktiengesetzes) parallele Verfahren in Bezug auf ähnliche Angelegenheiten führt,
      1. Der Kläger oder sein Prozessbevollmächtigter sich vor dem beziehungswiese im Verfahren oder in parallelen Verfahren in Bezug auf ähnliche Angelegenheiten Mitteln der Einschüchterung, Belästigung oder Drohung bedient hat beziehungsweise bedient.
      1. Der Kläger in der Absicht der Prozessverschleppung handelt oder
      1. Der Kläger das Verfahren auf eine nicht in den Nummern 1 bis 5 genannte Weise missbräuchlich führt.

    (4) Die Regelungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden auf die Geltendmachung von Ansprüchen, die sich aus der Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte ergeben.

    § 616

    Vorrang- und Beschleunigungsverbot

    Rechtsstreitigkeiten nach diesem Abschnitt sind vorrangig und beschleunigt durchzuführen.

    § 617

    Prozesskostensicherheit

    Der Kläger leistet auf Verlangen des Beklagten wegen der Prozesskosten Sicherheit. §§ 1111 bis 113 sind anzuwenden.

    § 618

    Kostenentscheidung; besondere Gebühr; Umfang der Kostenpflicht

    • In der Entscheidunsformel stellt das Gericht im Rahmen der Kostenentscheidung ausdrücklich fest, dass der Rechtsstreit aufgrund der öffentlichen Beteiligung des Beklagten missbräuchlich geführt wurde.
    • Das Gericht kann in der Kostenentscheidung dem Kläger eine besondere Gebühr nach Nummer 1903 der Anlage 1 (Kostenverzeichnis) zum Gerichtskostengesetz mit einem Gebührensatz bis zur Höhe des in dem Rechtsstreit für das Verfahren im Allgemeinen maßgeblichen Gebührensatzes auferlegen; eine Ermäßigung der Verfahrensgebühr ist unbeachtlich.
    • Dem Beklagten sind die Kosten seines Rechtsanwalts auch über die gesetzlichen Gebühren und Auslagen hinaus zu erstatten, soweit diese Kosten üblich und angemessen sind.

    § 619

    Veröffentlichung von Urteilen und Beschlüssen

    Das Berufungs-, das Revisions-, das Beschwerde und das Rechtsbeschwerdegericht haben rechtskräftige Urteile und Beschlüsse elektronisch und leicht zugänglich sowie anonymisiert oder pseudonymisiert zu veröffentlichen. Weitergehende Anforderungen an die Veröffentlichung, die sich aus anderen Rechtsvorschriften ergeben, bleiben unberührt.